18-jähriger Buchautor aus Somalia macht die Detailhandelslehre
«Wenn ich lustige Geschichten schreibe, fühle ich mich wohl.», sagt Axmed Cabdullahi.
Geübt bindet Axmed Cabdullahi in der Garderobe der Migros Thalwil ZH seine Krawatte. Er trägt sie täglich zu seiner Migros-Uniform. «Ich mag die Krawatte, sie gibt mir ein gutes Gefühl. Wenn ich sie umbinde, weiss ich: Jetzt fängt die Arbeit an.»
Der 18-Jährige absolviert bei der Migros Zürich das erste Lehrjahr zum Detailhandelsassistenten. Gross ist er, fein gebaut mit dünnen Beinen und schmalen Schultern. Zielstrebig geht er durch die Lagerräume, wird von allen gegrüsst. «Hey, Axi, alles klar?» – «Hoi, ja. Und bi dir?» Er spricht «Züridüütsch» wie die anderen auch. Wenn man ihn sprechen hört, glaubt man es kaum: Axmed hat erst vor etwas mehr als zwei Jahren begonnen, Deutsch zu lernen.
Gefährliche Flucht übers Meer
Der Somali ist ein Flüchtling, aufgewachsen in Mogadischu. Mit 14 muss er sein Zuhause verlassen – Terroristen erpressen und bedrohen ihn. Er flüchtet ohne Familie, gelangt über Äthiopien und den Sudan nach Libyen. Fast zwei Jahre lang harrt er dort aus, bis es nicht mehr geht. Er entschliesst sich, die Flucht über das Meer nach Italien fortzusetzen. «Wir waren vier Tage lang auf einem kleinen Boot auf See.» Während er erzählt, ringt er sichtbar mit den Erinnerungen, sein Blick ist nach innen gekehrt, die Stimme leiser.
Flüchtling, Migros-Lernender und Buchautor: Axmed Cabdullahi (Foto: Daniel Winkler)Via Rom gelangt er mit dem Zug nach Chiasso. Dort greift ihn die Grenzwache auf. Ein Arzt untersucht ihn. Axmed ist so geschwächt, dass er ins Krankenhaus muss. «Im Spital haben mir die Ärzte beim Ausfüllen des Asylantrags geholfen», sagt er. Zwei Monate verbringt er im Flüchtlingsheim in Losone TI und lernt schnell Italienisch. Dann erreicht ihn die Nachricht, er werde nach Zürich verlegt. «Man sagte mir, ich müsse ab jetzt Deutsch lernen, eine schwierige Sprache. Ich antwortete: Ich lerne es innerhalb von zwei Monaten. Da haben alle gelacht», sagt er schmunzelnd.
In Zürich besucht er eine Aufnahmeklasse für unbegleitete Flüchtlinge und lernt konsequent jeden Tag fünf Worte. «Nach sieben Monaten sagte mir meine Lehrerin, dass ich nun in eine normale Schule gehen könne.» Er steigt direkt in die dritte Klasse der Sekundarschule ein, schreibt gute Noten – «keine einzige ungenügende», bemerkt er stolz.
Die Entdeckung der Schreiblust
In der Schule merkt er zum ersten Mal, dass er gern Geschichten schreibt. «Wir hatten Besuch vom Jungen Literaturlabor Zürich. Ich sollte eine kleine Geschichte über mich schreiben. Das hat Spass gemacht.» Danach besucht er das Labor (kurz: Jull) einmal pro Woche, erhält ein Ministipendium und mit Autorin Ulrike Ulrich eine Mentorin zur Seite gestellt. Nach sechs Monaten ist sein erstes Buch fertig: «Die Kurden waren sehr überrascht – Garantiert nicht traurige Geschichten».
Axmed sagt: «Ich muss aufschreiben, lesen und sehen, was ich im Herzen habe. Und wenn ich lustige Geschichten schreibe, fühle ich mich wohl.» Gemeinsam mit Ulrike Ulrich hat er ein zweites Buch veröffentlicht, in dem er die Flucht und die Ankunft in der Schweiz verarbeitet. Das dritte Werk ist schon geplant – ein Tagebuch über seine Begegnungen bei der Arbeit. Titel: «Die Kunden waren sehr überrascht».
Kurzgeschichte von Axmed Cabdullahi
Der stolze Somalier
Es war einmal ein stolzer Mann aus Somalia, der aufgrund von Problemen in seinem Land nach Europa wollte. Auf seinem Weg nach Europa lernte er vier Männer kennen. Sie reisten, assen und tranken zusammen, bis sie an die Grenze von Europa kamen. Dort wurden sie von der Grenzpolizei festgehalten und nach ihren Ausweisen gefragt. Keiner der Männer hatte einen Ausweis. Einer der Polizisten fragte sie, wie sie heissen und woher sie kommen.
Der erste Mann sagte: «Mein Name ist Aari, und ich bin Kurde aus dem Irak.»
Der zweite Mann sagte: «Mein Name ist Kawa, und ich bin Kurde aus Syrien.»
Der dritte Mann sagte: «Mein Name ist Schindar, und ich bin Kurde aus dem Iran.»
Der vierte Mann sagte: «Mein Name ist Nuschin, und ich bin Kurde aus der Türkei.»
Der Mann aus Somalia kannte all die Länder, aus denen die anderen Männer kamen. Jedoch wusste er nicht, was ein Kurde ist. Er dachte, die anderen benutzen das Wort Kurde, um sich wichtig zu machen und ihren Stolz auf ihr Heimatland auszudrücken.
Selbstbewusst verkündete er: «Mein Name ist Mahad, und ich bin Kurde aus Somalia.» Die Kurden waren sehr überrascht. Und die Polizisten lachten laut.
«Die Kurden waren sehr überrascht – Garantiert nicht traurige Geschichten»; Junges Literaturlabor: jull.ch (Rubrik Produkte, «JULL Ready-Print Nr. 9»)
Text: Andreas Dürrenberger, Migros Magazin, 22. Mai 2019
21.06.2019