Kann man Kompetenzen lehren?
Eines vorweg – Kompetenzen kann man nicht lehren sondern nur selbst(organisiert) handelnd erwerben durch tun, erleben, diskutieren, reflektieren. In Projekten, herausfordernden Situationen, vernetzt, in einer Lerngemeinschaft. Dabei genügt es nicht, im Unterricht einfach ein paar SOL-Sequenzen zu integrieren – es ist eine Ermöglichungsdidaktik notwendig. Darum sind Lehrpersonen nicht mehr Lehrende, die Wissen vermitteln oder Trainier, die auf das erfolgreiche Bestehen von Prüfungen hinarbeiten, sondern Lernbegleiter, Lernlandschaftsoptimierer, Verantwortungsabgeber, Handlungsmöglichkeitenanbieter. Und nein, Lernende sind nicht überfordert – weder Kinder noch Jugendliche noch (junge) Erwachsene oder Senioren – da wir seit frühester Kindheit spielen – äh – lernen – eingebunden in einem Netzwerk und Lerninfrastruktur. Bildungsverantwortliche «dienen nicht allein dem Arbeitsmarkt oder der Gesellschaft, sondern in erster Linie der Förderung und Begleitung der Individualisierung» (Arnold, 2015, S. 65)
Kompetenzen kann man nicht lehren – sondern nur durch eigenes Tun erwerben (und vertiefen).
Die Umsetzung in der Schule ist deshalb schwierig, weil man Kompetenzen nicht gleich messen kann, wie Wissensfragmente in einer PISA-Studie. Wenn wir also Fächer aufgeben und stattdessen Kompetenzbereiche wie Kulturen kennenlernen, Informationen sammeln, beurteilen, interpretieren und darstellen oder Informationstechnologien beherrschen, eine gemeinsame und individuelle Zukunft aufbauen sowie Unternehmertum in interdisziplinären Projekten entwickeln, werden «Resultate» erhalten, die nicht vergleichbar aber nachhaltig wirksam sind. Selbstverständlich sind allgemeinbildende Kompetenzbereiche wie Deutsch, Fremdsprachen, Kunst, Geschichte, Geografie, Physik, Biologie, Chemie, Mathematik als integrale Bestandteile relevant – denn Fertigkeiten wie lesen, schreiben, rechnen, analysieren u.v.a.m. sind die notwendige Basis dafür.
Kompetenzbereiche statt Fächer, Fertigkeiten und Können anstelle von Wissensfragmenten.
Klar ist, dass isolierte Schulversuche – also ab und an SOL-Phasen nichts bringen, sondern Kompetenzorientierung als ganzheitliches Lernkonzept in der Schule integriert sein muss – und dies eine Revolution des Schulsystems bedeutet. Solche ist gerade bzgl. BiVo2023 für kaufmännische Lehrberufe (EFZ und EBA) im Gange und ich bin in gleich mehreren Projekten nicht nur «Betroffene» sondern Mitwirkende und Mitgestalterin (HKB E «Einsetzen von Technologien der digitalen Arbeitswelt», Unterprojekt Portfolio, EDU-ICT am BZZ). Besonderes Augenmerk gilt dabei, dass Lehrpersonen nicht mehr als Einzelkämpfer agieren sondern Unterrichtskonzepte im Kollegium gemeinsam gestalten, innovative Lernlösungen ermöglichen und fächerübergreifende Projekte entwickeln. Das bedeutet insofern auch ein Kulturwandel, weil sich Lehrpersonen gewohnt sind, Arbeitsort und -zeit ausserhalb (und teilweise innerhalb) ihres Stundenplanes selbständig zu gestalten.
Paradigmawechsel: Vom Lehren zum gemeinsamen Lernen auf Augenhöhe.
Damit dies gelingen kann, ist eine ganz andere Haltung zum Lernen und zu den Lernenden möglich – Werte, die nicht nur in einem gemeinsam erarbeiteten Leitbild niedergeschrieben sondern im Schulalltag gelebt werden. Dass damit grossartige Erfolge möglich sind, zeigt die Gebrüder Grimm Schule in Hamm, eine «Brennpunktschule» die 2019 den deutschen Schulpreis erhielt (Details zu den Werten vgl. S. 144-145 resp. ausführliches, 511 Seiten starkes Schulprogramm vgl. hier). Das ist die Umsetzung von «Verlagerung der Lernverantwortung auf die Schüler, die die Freiheit erlangen, den Unterricht mitzugestalten sowie ihre Arbeitsthemen und ihre Lernmethoden innerhalb eines Lernrahmen selbst auszuwählen und anzuwenden» (vgl. S. 145) und insbesondere endlich der Wandel der Rolle der Lehrperson zum Lernbegleiter insbesondere durch das zusammenarbeiten auf Augenhöhe.
27.04.2022